#Rojava_1: Wer kein Freund ist, ist nichts wert

Erster Teil des ak[due]ll Interviews mit einem Freiwilligen im Bürgerkrieg um Rojava.

Anfang des Jahres ging Mike (Name geändert) ins nordsyrische Rojava, um die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu unterstützen. Während dieser Zeit kämpfte und erlebte er mit anderen internationalen Freiwilligen aus der Türkei, Deutschland und Brasilien den Bürgerkrieg mit all seinen Entbehrungen, Schrecken und Leid. Kurz nach seiner Rückkehr ist dieses Interview, das in mehreren Teilen in der akduell erscheint, entstanden. Von Philipp Adamik

ak[due]ll:  Was hat dich dazu bewogen freiwillig nach Rojava in den Krieg zu ziehen?
Mike: Für mich ging es in erster Linie nicht darum, in den Krieg zu ziehen, sondern ein politisches Projekt zu unterstützen.

Krieg geatmet nicht nur gesehen
Krieg geatmet nicht nur gesehen

Ich begreife mich als Kommunist, als Revolutionär, als Internationalist. Ich habe es als meine Pflicht begriffen, dahin zu fahren, wo gerade eine Revolution stattfindet. Von hier aus ist es schwer zu beurteilen, was genau Revolution in Rojava bedeutet. Es gab viel Unterstützung in der linken Szene, auch von mir natürlich. Ich dachte, es wäre auch interessant, sich einen Einblick zu verschaffen, in wie weit das, was da passiert, tatsächlich Revolution ist. Das bedeutet dann natürlich auch in den Krieg zu ziehen, weil in Rojava und Syrien einer der brutalsten Bürgerkriege des 21. Jahrhunderts herrscht.

ak[due]ll: Was verstehst du unter der Revolution in Rojava?
Mike: Für mich hieß das die radikale politische Umwälzung im Norden Syriens. Und die Etablierung eines gerechteren, basisdemokratischen Systems.

ak[due]ll: Solche politischen Projekte beginnen ja vielfach als theoretische Überlegungen. Inwieweit siehst du diese Theorie in Rojava schon umgesetzt?

Mike: Das lässt sich im Nachhinein schwer sagen, weil es letztendlich nichts anderes war, als in den Krieg zu ziehen. Und Krieg ist sehr chaotisch. Ich habe von den politischen Strukturen wenig gesehen. Von der Front lässt sich das schwer beurteilen.

Die Situation während der Al Hasaka Offensive
Die Situation während der Al Hasaka Offensive

Ich war weder in irgendwelchen Verwaltungsstrukturen, noch anderswo, wo ich das hätte beobachten können. Mein Eindruck von der Straße ist, dass vor allem das Zusammenleben der Kulturen und Religionen besser funktioniert, als es sonst im Mittleren Osten üblich ist. Dass Frauen, die sich gerne westlich kleiden, die Möglichkeit dazu haben. Aber gleichzeitig auch arabische Muslime die Möglichkeit haben, sich traditionell kleiden und im Alltag ihre Glaubensgrundsätze zu achten.

ak[due]ll: Wird Religionsfreiheit, wie es auch im Gesellschaftsvertrag von Rojava festgehalten ist,  deutlich stärker beachtet, als es sonst im mittleren Osten üblich ist?
Mike: Ja, das ist mein Eindruck. Ich hatte ja auch den Vergleich zu anderen Städten im Nordirak und da war das ein bisschen anders. Die Muslime waren empfindlicher, was den Alltag angeht. Auch in der Umsetzung des Ramadan. In Rojava halten sich viele Muslime an den Ramadan. In Erbil auch, nur das eben in Rojava sich niemand beschwert, wenn man auf der Straße raucht, oder wenn man isst.

ak[due]ll: Du hast dort gegen den IS gekämpft, wie würdest du den IS beschreiben?

Mike: Das sind Menschen, die versuchen anderen ihren Glauben aufzuzwingen. Die ganz klar abstecken, wer Feind ist und wer Freund. Und wer kein Freund ist, der ist nichts wert. Er wird versklavt, gefoltert, ermordet, massakriert.

ak[due]ll: Wie bist du nach Rojava gekommen?
Mike: Das war lächerlich einfach. Ich hab hier jemanden bei einer Demonstration gefragt. Der meinte: Melde dich bei Facebook an und schreibe denen einfach. Das habe ich getan. Und dann, fünf Nachrichten später, habe ich ein Flugticket gekauft und habe eine Handynummer bekommen, bin nach Sulaimaniyya geflogen und wurde da empfangen. Anscheinend tauchen da öfter internationale Freiwillige für die YPG auf. YPG sind die Yekîneyên Parastina Gel, das sind die Volksverteidigungseinheiten. Dann habe ich mich dahin fahren lassen, weil der Taxifahrer schon wusste, wo das ist. In ein Savehouse, so eine konspirative Wohnung sozusagen.

ak[due]ll: Die Türkei haben ja auch die Grenzen dicht gemacht. Wird dort nicht zwischen IS und YPG, YPJ differenziert?
Mike: Die differenzieren schon recht deutlich. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Türkei nicht nur indirekt, sondern auch direkt den IS sehr aktiv unterstützt. Wir wurden teilweise von türkischer Seite beschossen. Ich glaube nicht, dass sie uns treffen wollten, aber sie haben auf jeden Fall rüber geschossen. Sie haben flüchtende ISIS-Kämpfer mit offenen Armen empfangen. Sie standen nebeneinander auf der türkischen Seite und haben sich über uns lustig gemacht.

ak[due]ll: Wie wurdest du auf den Einsatz an der Front vorbereitet?
Mike:Von Sulaimaniyya wurden wir nach drei Tagen in die Berge gebracht. In ein Lager der HPG, das sind die Hêzên Parastina Gel. Das ist der militärische Arm der PKK. Wir haben da mit insgesamt 25 Freiwilligen in den Bergen gelebt zwei Wochen lang. Wurden da ausgebildet. Nach zwei Wochen sind wir über die Grenze geschmuggelt worden, nach Rojava. Dort wurden wir noch mal sieben Tage ausgebildet. Nach insgesamt drei Wochen Ausbildung ging es an die Front.

ak[due]ll: Und, was hast du da erlebt?
Mike: Wir kamen erst nach Hasaka. Das war fast auf den Tag genau der Beginn der Al Hasaka Offensive. Das war eine von mehreren Offensiven um den IS auf großer Fläche aus Rojava zu vertreiben und den Kanton Cizîrê vollends zu befreien.

ak[due]ll: Die Offensive ist von der IS ausgegangen, oder?
Mike: Nein, von uns. Es fing mit unglaublich vielen Luftschlägen durch die Franzosen und Amerikaner an. Nach vier Tagen in Hasaka sind wir nach Kahtanieh. Da sind wir zu unserer Einheit gekommen. Waren in einem christlichen Dorf stationiert. Da gab es auch die ersten Kämpfe. Es wurde acht Tage lang jede Nacht hin und her geschossen. Dann ist unsere Einheit ein Dorf weiter gezogen, wo dann die ersten Probleme angefangen haben, weil es Kurden gab, die aus Spaß Hunde erschossen haben. Das waren Scharfschützen und die hatten einfach nur Bock ihre Waffen einzusetzen. Ich und andere Freiwillige, haben die Einheit verlassen und sind zu einer anderen Einheit gewechselt. Von da aus sind wir Richtung Norden, an der Grenze zur Türkei, und von da aus Richtung Kobanê. Wir haben Tell Abyad eingenommen, der Korridor zwischen Kobanê und Cizîrê wurde geöffnet. Das war ein sehr historischer Moment, als wir auf die Kräfte aus Kobanê getroffen sind.

Hier geht es zu Teil zwei des Interviews von Gastautor Philipp Adamik

Der Artikel erschien ursprünglich hier in der ak[due]ll online und in der ak[due]ll Nr. 110 vom 21.10.2015.

Titel- & Beitragsbild: Krieg geatmet nicht nur gesehen.
Jordi Bernabeu Farrus CC-BY 2.0

Karte: Die Situation während der Al Hasaka Offensive
Mouradi 2015 CC-BY-SA 3.0

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.