Kommentar: Michael Hardt auf Freitag.de “Occupy war ein Erfolg”

Michael Hardt und Antonio Negri teilen als Neo-Marxistische Theoretiker und Ideologen den klassischen Grundgedanken der Marxistischen Theorie der direkten Demokratie. Eine Beteiligung aller, genauer aller, die über ein Klassenbewusstsein verfügen, ermöglicht gerechte Entscheidungen.

„Die Bewegungen teilen gemeinsame Praktiken: Zeltcamps, Generalversammlungen oder Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung. Sie eint die politische Forderung nach mehr Demokratie, denn es handelt sich nicht nur um ökonomisch motivierten Protest.”

Eine idealistische Vorstellung, die zwar Proteste koordinieren und durchaus mediale Aufmerksamkeit erregen kann, aber substantiell nichts ändert. Die Maschine Kapitalismus/repräsentative Demokratie ist zu dynamisch, zu flexible als das Proteste substantiell etwas ändern können. Der Kapitalismus hat zum einem die Fähigkeit auch den Protest zu kapitalisieren und zu seiner eigenen Sache zu machen, was Hardt und Negri durchaus auch erkennen, zum anderen sind die Netzwerke der Macht viel zu groß und zu globalisiert, als dass sie sich von ein paar Protesten umwerfen ließen. Was in Ägypten gelang, gelingt nicht Frankfurt, Stuttgart, London und der Wallstreet.

In Anbetracht dieser Erfolgsprognosen, bleibt für die Protestierenden am Ende der Proteste nur eine Geisteshaltung, die „Die Sterne” auf den Punkt gebracht haben:

„Deine Augen im Spiegel sind genauso frustriert, als hättest du dich politisch engagiert.”

Ist das Ende der Proteste die Konsequenz? Nein. Zum einem sind die Proteste u. a. durch ihre Darstellung in den Medien systemisch in die etablierten repräsentativen Demokratie integriert. Sie Artikulieren immer noch den Willen der Protestierenden und einer schweigenden Mehrheit ähnlich Denkender, denen es nicht gelingt – wohl eher nicht in der Lage sind – ihren Willen Ausdruck zu verleihen. In dem Sinne Helfen die Proteste vielleicht schlimmeres zu verhindern oder gar Impulse zu einer gerechteren, aber noch lange nicht gerechten, Wirtschaftsordnung beizusteuern. Als Beispiel mag hier Deckelung der Management-Gehälter in der Schweiz oder die ernsthaften Gedanken über eine Finanztranskationssteuer dienen. In dem Sinne ist ein mehr an Protesten ein mehr an Demokratie.

Zum anderen sind sie auch für die Beteiligten eine großartige Sache, von der man auch gerne noch seinen Enkeln erzählen mag.

Proteste verhindern vielleicht nur schlimmeres oder ändern wenig, aber rationale Ziele motivieren nicht. Es Bedarf der Ideologie um die Massen auf die Straße zu bewegen. Den Skeptizismus haben sie selbst im Kopf.

Hier der Artikel auf freitag.de:

Inzwischen hat der Autor des Artikels eine Antwort auf meinen Kommetar geschrieben. Wer der weiteren Diskussion folgen möchte, kann dies gerne hier tun.

2 Replies to “Kommentar: Michael Hardt auf Freitag.de “Occupy war ein Erfolg””

  1. Proteste sind wichtig und ich habe nicht vor, meinen Enkeln irgendwann von 68 zu erzählen, außer die kommen auf die Idee, dass das, was sie jetzt machen eine völlig neue Erfindung ist . . . Jede Zeit kennt ihre Form und hat ihre eigenen Inhalte im Umgang mit dem Protest. Jeder andere Gedanke wäre ahistorisch. Nur, ich wehre mich gegen die Vorstellung, Protest führe zu einer neuen Form (im Sinne einer anderen, besseren) demokratischen Verfassung unserer Gesellschaft. Sie entwickelt lediglich die bestehende weiter – 68 folgte der Marsch durch die Institution (als “Logo” der Form einer Weiterentwicklung).

    Derzeit sehe ich die Gefahr, dass durch viele, sehr effiziente Netze auch sehr viel schneller Protest organisiert werden kann, als die demokratischen Institutionen reagieren können. Das wird Folgen zeitigen in der Qualität der die Demokratie organisierenden Personen – und das sind nicht die “Massen”.

    1. Die Überforderung der demokratischen Institutionen ist einer der wichtigsten Punkte der Proteste. Wenn die Entscheidnungsfindung in Informationsnetzwerken schneller erfolgt, als in den zuständigen Institutionen, verlieren diese Institutionen auch nach ihren eigenen Maßstäben ihre Legitimität. Eine Strategie der Institutionen ist es ihre Legitimität in der Situation der Überforderung durch repressive Maßnahmen zu sichern.
      So werden in Schulen häufig Handyverbote erlassen anstatt das Smartphone sinnvoll in den Unterricht einzubinden. Proteste werden repressiv unterdrückt wie u. a. bei Stuttgart 21 geschehen. Gerade im Bereich der Stadtplanung existieren zahlreiche Planungsinstrumente, die eine Bürgerbeteiligung ermöglichen. Genutzt werden sie aber nur selten. Häufig wird der Bürger in solchen Fällen als Störfaktor guter, weil rationaler Entscheidungsprozesse gesehen (Ligitimität durch Verfahren). Das Rationalitätsverständnis ist dabei in der Regel aber ökonomisch (Effektivität und Effizienz) verkürzt.
      Innerhalb der etablierten Institutionen Bedarf es zahlreicher Umstrukturierungsmaßnahmen in Hinblick auf eine Öffnung der Institutionen. Auch steht das Modell der repräsentativen Demokratie massiv auf dem Prüfstand. Während vor 10 bis 15 Jahren direktdemokratische Entscheidungsfindung bzw. verbindliche Mitbestimmung mit hohem technischen Aufwand verbunden war, ist heute die dafür notwendige Infrastruktur in jeder Stadt auch für die Minderheit der Bürger ohne eigene Internetzugang vorhanden (z. B. Bibliotheken). Das Repräsentativitätsproblem ist dabei nur ein Scheinproblem. Wer nicht wählt, wählt das die anderen Entscheiden.
      Die Qualität politischer Entscheidungen lässt auch häufig zu wünschen übrig, z. B. die Beteiligung an der Opelrettung vor 3 Jahren, die Genehmigung der Loveparade, der Berliner Flughafen etc. Der Staat steht im Moment in einer Situation der doppelten Überforderung. Auf der einen Seite ist er der Handlanger des Kapitals (Bankenrettung) oder wird selber zum Kapitalisten (Europäischer Stabilitätsmechanismus). Auf der anderen Seite können sich die zivilgesellschaftlichen Eliten autark organisieren und bedürfen den Staat auch nicht mehr. Der Staat steckt mitten in einer massiven Identitätskrise. Deren Lösung meines erachtens in einer Deregulierung der Zivilgesellschaft (z. B. Bürgergeld, Abkehr vom Vollbeschäfftigungsziel), institutionellen Revolutionen (Abschaffung des Berufsbeamtentums, Einbindung des Bürgers auch in betriebswirtschaftliche Entscheidungen von Behörden) auf der einen Seite und auf der anderen Seite in einer echten Alternative und Opposition gegenüber dem Kapitalismus liegen muss. Womit an dieser Stelle weder ein Sozialismus noch ein Regionalismus gemeint ist, wie er häufig mit den lokalen Währungen praktiziert wird. An dieser Stelle eine tragfähige Utopie jenseits einer Abgrenzung nach links und rechts zu treffen wäre aber im höchsten Maße unseriös.

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