Große Koalition? Das haben wir nicht gewählt!

Quelle: gutjahrs blog
Quelle: gutjahrs blog

Durch die Meinung des Staatsrechtlers Christoph Degenhart wurde eine Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des SPD-Mitgliederentscheids ausgelöst. In ihrem Interview mit dem SPD Parteichef Sigmar Gabriel trieb Marietta Slomka die Debatte weiter in Richtung demokratischer Legitimation. Sie wandte ein, dass die SPD-Mitglieder zu „besseren Wählern“ gemacht werden, weil sie „noch ein zweites Mal abstimmen“ dürfen, während der Großteil der Bevölkerung nur über eine Stimme verfügt. In dem Sie fragte, ob dass „so einwandfrei demokratisch“ sei, trieb sie die Debatte auf die Spitze.

Gabriels Antwort, dass es in jedem Fall demokratischer sei, wenn „4 70 000 Mitglieder“ über „das Schicksal Deutschlands“ entscheiden als die wenigen Menschen in den Parteivorständen, ist dabei unabhängig von verfassungsrechtlichen Bedenken richtig. Denn der demokratische Prozess wird nicht nur durch die formale Einbeziehung der SPD-Basis demokratischer, sondern im Sinne einer kommunikativen Figuration, auch durch den Einfluss, den die Bürger, Parteien und Medien auf die SPD-Basis während dieses Prozesses ausüben. Hierdurch wird die Ablehnung einer nicht gewählten Großen Koalition und die Wahl der gewählten Minderheitenregierung noch möglich. Denn legt man das tatsächliche Ergebnis der Bundestagswahl unter Einbeziehung der Meinung der mit 28,5 % zweitstärksten Macht der Nichtwähler zu Grunde, kommt die Union nur noch auf 31,92 % Zustimmung in der Bevölkerung und eine überwiegende Mehrheit hat sich mit 68,08 % gegen eine große Koalition ausgesprochen (Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des amtlichen Endergebnisses). Eine Minderheitenregierung würde demnach den Willen der Bevölkerung widerspiegeln.

Neben dieser Arithmetik der Macht sprechen aber aus meiner Sicht noch zwei weitere Punkte gegen eine große Koalition.

Zum einem ist die Opposition insbesondere unter diesen Mehrheitsbedingungen jedweder demokratischen Kontrollmechanismen beraubt, was eine weitere Entdemokratsierung der Politik zur Folge haben wird. Zum anderem wird sich eine Minderheitenregierung wesentlich stärker am Konsensprinzip orientieren müssen, was die Qualität politischer Entscheidungen sowohl innerhalb des parlamentarischen Prozesses als auch des öffentlichen Diskurses steigert.

Auch wenn der Mitgliederentscheid eher ein politisches Druckmittel als eine wirkliche Demokratisierungsinstrument ist, bietet er einen Demokratisierungsimpuls, den die SPD-Basis aufnehmen sollte indem sie sich für eine Minderheitenregierung ausspricht. Dies sollte sie aber nicht nur Aufgrund der Chance einer zunehmenden Demokratisierung wagen, sondern auch um ihren letzten Rest an politischer Glaubwürdigkeit zu erhalten. Die Unterzeichnung dieses miserablen Koalitionsvertrages würde diese endgültig begraben und mit ihr gleich die Machtoption der SPD für Jahrzehnte.

Philipp Adamik 2013

Das Robben- und noch mehr niedliche Protestmotive gibt es unter einer  CC BY-SA 3.0 DE Lizenz hier auf gutjahrs blog.

6 Replies to “Große Koalition? Das haben wir nicht gewählt!”

  1. Ich finde, dass diese Rechenspiele mit Vorsicht zu genießen sind. Demnach hätten ja auch andere Koalitionen nur wenig Zustimmung in der Bevölkerung, wenn man jedes Mal die Nichtwähler als geschlossenen Block einrechnet. Bedenkt man, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht wählen, könnte man die Nichtwähler genauso ausdifferenzieren wie das Parteienspektrum. Der SPD-Mitgliederentscheid ist im Sinne innerparteilicher Demokratie schon verfassungskonform, aber die Frage muss schon erlaubt sein, warum er notwendig ist. Denn das Parteiprogramm, das Wahlprogramm, die Parteispitze sind ebenfalls Ergebnis innerparteilicher Demokratie, welches durch diese nochmalige Abstimmen in Frage gestellt werden. Es ist vor allem ein PR-Manöver gerichtet an die eigene Basis und potentielle Wähler beim nächsten Mal.

    1. Ich stimme dir da voll zu das Rechenspiele mit Vorsicht zu genießen sind. Interessant finde ich an diesem vorallem, dass es die tatsächliche Zustimmung zu den Parteien in der Bevölkerung und die Schwächen des derzeitigen Systems darstellt. Allein daraus jetzt Plädoyer für eine Minderheiten Regierung abzuleiten wäre schon ziemlich schwach. Ich habe deswegen auch noch weitere Argumente angebracht, die dagegen sprechen. Ich überlege auch gerade, ob ich den Artikel für eine Veröffentlichung auf Der Freitag noch mal überarbeite und dort die anderen Argumente stärker zur Geltung bringe.

  2. Hoffentlich ist dieses ganze Theater bald vorbei!

    Das Quorum wird irgendwo um 50 % liegen. Es wird eine Zustimmung zum Vertrag geben,. weil es eine “Koalition für die kleinen Leute” ist, so Gabriel in Oldenburg. Viele haben sich die Köppe eingehauen, anstatt sich zu überlegen, was sie wirklich wollen, haben die Gegner eher in den eigenen Reihen gesehen und freuen sich auf Muddi, wohl weil’s da warm ist. Sachargumente mag man nicht mehr vortragen, sind alle ausgelutscht.

    Die “Ja”-Sager wollen auf dem Erreichten (auch wenn’s noch Stückwerk ist) die SPD zukunftsfähig machen. (=operativer Ansatz) Die “Nein”-Sager wünschen sich eine Erneuerung der SPD ohne das Korsett einer dem Grunde nach nie gewollten Koalition (=strategischer Ansatz). Dazwischen ist Niemandsland.

    Die Kurzdenker ujnd Hungernden hatten immer schon die machtvolleren Argumente. Also.

    Und diese ganze Staatsrechtsdiskussion bringt noch Konfussion: Parteien und ihre Mitglieder haben allein schon durch die Auswahl und Aufstellung der Kandidaten einen größeren Einfluss als der einfache Wähler. Und der kann auch keine Koalition, sondern nur eine Partei wählen. Und diese Partei hat Statuten, nach denen sie ihre Entscheidungen finden kann. Also, was will der Prof. Christoph Irgendwas . . . ?

  3. Also erste einmal: Wenn es keinen Mitgliederentscheid gegeben hätte, hätte es auch eine Große Koalition gegeben. Ich weiß also nicht, weshalb Sie sich darüber so sehr beschweren.

    Vor allem aber sehe ich überhaupt gar keinen Grund, sich über die Große Koalition zu beschweren.
    Sie schreiben hier unter anderem von einer Minderheitsregierung, aber eine Minderheitsregierung in Form einer Alleinregierung einer Fraktion, nämlich der CDU/CSU-Fraktion wäre ja wohl noch schlechter für die Demokratie und eine Rot-Grüne–Minderheitsregierung wäre gar nicht zustande gekommen, weil dann auch wieder die Union mit mehr Sitzen eine Minderheitsregierung ausgerufen hätte.

    1. Entschuldigen Sie, wenn ich den Eindruck erweckt habe, ich würde mir eine SPD geführte Minderheitsregierung wünschen. Ich will eine Minderheitsregierung der CDU, die von einer starken Opposition getrieben wird. Ich stelle mir so einen demokratischeren Gesetzgebungsprozess vor, der nicht mehr von einem Fraktionszwang gesteurt wird, sondern von thematischen Übereinstimmungen. Kurz: Thema vor Partei.

  4. “Thema vor Partei?” Auch wenn solch eine Kurzform naturgemäß stark abstrahiert, so unterstellt sie doch im Grundsatz die Abkehr vom Anspruch, Volksparteien im Bundestag sitzen zu haben – und das wäre konsequent, weil die gesellschaftliche Entwicklung darauf hinausläuft. Allerdings verharrt die CDU noch in einer “Volksparteistarre”, sie möchte in allen Fragen kompetent sein und ihren politischen Anspruch entsprechend in allen Bereichen umsetzen.

    Eine Mehrheit dafür mag sie haben, aber nicht die Kompetenz, nachhaltige Lösungen anzubieten. Das ist ihr Dilemma – aber auch das unserer Gesellschaft. Wir wählen “keine Experimente”, stehen aber vor eine Unmenge von Problemen, die mit herkömmlichen Ansätzen nicht zu lösen sind.

    Die SPD hat sich schon länger vom Anspruch einer Volkspartei abgekehrt – ohne es zu wissen.BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und DIE LINKE besetzen Politikfelder zukunftsfähig, die von der SPD zwar beansprucht, aber nicht abgedeckt werden können. Es wird der SPD m. E. nicht gelingen, die Felder wieder aus eigener Kraft zu besetzen.

    Volkspartei zu sein ist daher für die CDU ein auslaufendes Modell, für die SPD eine Illusion oder besser eine Fata Morgana. Für die SPD ist daher die Beteiligung an der GroKo ein Desaster, weil sie sich in den nächsten vier Jahren nicht wird erneuern können, sondern als Juniorpartner der CDU jeden Abend neu mit dem Gedanken ins Bett geht, Volkspartei zu sein und an jedem neuen Morgen brutal aus diesem Traum von alter (historischer) Bedeutung herausgerissen wird.

    SPD steht für eine lange Geschichte von Sozialdemokratie und aufrechter Politik, aber auch Streit um den richtigen Weg. Sozialdemokraten haben gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt, haben den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland als Alternative zu einem bourgeoisen Ansatz mitgestaltet. Das sind nur zwei Stationen. In 150 Jahren hat sich die Partei immer wieder verändert. Jetzt hätte sie die Größe aufbringen müssen, aus einer starken Opposition heraus den schwierigen (und riskanten) Weg der Unterstützung einer Minderheitenregierung zu gehen. Das hätte die Abkehr vom Volkspartei-sein-Gedanken bedeutet, aber die große Chance koalitionsfähig zu werden, um für ihr Klientel – und damit für den Staat – die besseren Lösungen anzubieten zu können..

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