Die spanische Verfassungskrise

Als SchweizerIn muss man sich wohl über das Demokratieverständnis der Deutschen wohl sehr wundern. Nehmen wir zum Beispiel mal die deutschen Kommentatoren und ihren Blick auf die Katalonien Krise. Für einen Schweizer, wie dem ehemaligen Nationalrat Werner Marti (SP), besteht, wie in seinem NZZ-Kommentar, kein Zweifel daran, dass die katalanischen Forderungen nach mehr Autonomie nicht nur legitim, sondern auch durch das Unabhängigkeitsreferendum demokratisch legitimiert worden sind.

Seinen deutschen Kollegen käme diese Einschätzung wohl kaum in den Sinn. Unerschütterlich verharren sie in ihren Glauben, dass ein Referendum, das von der Verfassung nicht vorgesehen ist, automatisch nicht legitim sei und das mit der spanischen Demokratie alles in bester Ordnung ist. Aber ist dem wirklich so?

Wirft man einen näheren Blick auf Spanien und die Geschichte seiner Demokratie, erblickt man zunächst eine sehr junge Demokratie. Während Deutschland sich nach dem Faschismus recht schnell eine, nun ja, „demokratische“ Verfassung gab, dauerte dies in Spanien noch bis 1975. Erst nach dem Tod des Diktators Franco gelang es Spanien sein faschistisches Erbe etwas abzustreifen.

Aber dieser Demokratisierungsprozess führte, selbst an den niedrigen deutschen Standards gemessen, nicht zu einer fortschrittlichen Demokratie, sondern zu einer recht rückständigen und im Kern sehr undemokratischen parlamentarischen Monarchie. Nicht nur das in Spanien Wahlen immer noch vom König ausgerufen werden, der Wahlsieger erhält einen deutlichen Bonus, sodass er fast mit der Gewalt eines gewählten Diktators regieren kann.

So hält die Partido Popular des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy derzeit mit 33% der Wählerstimmen 39% der Sitze im Kongress. Im deutlich wichtigeren Senat fällt dieser „the winner takes it all“ Bonus sogar noch stärker aus. Dort hält die Partido Popular mit 35% der Stimmen die absolute Mehrheit von 57% der Sitze. Selbstverständlich gehen diese Boni zu lasten von anderen Parteien, wie in diesem Fall zu lasten des Wahlbündnis Podemos.

Podemos ist derzeit mit etwa 20% der Wählerstimmen die drittstärkste Kraft sowohl im Kongress, als auch im Senat. Sie liegt dort jeweils knapp hinter der zweitplatzierten PSOE (Partido Socialista Obrero Español). Aber während die PSOE in etwa entsprechend ihres Wahlergebnisses im Kongress und Senat mit Sitzen vertreten ist, führt Podemos, vor allem im Senat, ein politisches Schattendasein. So stehen dort ihren erreichten 20% der Stimmen nur knapp 9% der Sitze gegenüber. Es ist also kein Wunder das Podemos, die als einzige größere politische Kraft in Madrid das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen verteidigt, in der deutschen Presse kaum Gehör findet.

Aber selbst dieses ungerechte Wahlsystem, dass jede Opposition an den Rand drängt, schützte Mariano Rajoy und seine Partido Popular kaum vor der Krise, in der sie sich befinden.

So gelang es Rajoy, trotz aller Boni, nach den Wahlen im Jahre 2015 nicht eine stabile Regierung zu stellen, weshalb König Felipe VI 2016 Neuwahlen anordnete, die zur derzeitigen Regierung führten. Aber auch diese Regierung ist, insbesondere für spanische Verhältnisse, alles andere als stabil.

Im spanischen System, welches aufgrund des ungerechten Wahlsystems bislang noch keine Koalition gesehen hat, stellt Rayos Partido Popular nun eine Minderheitsregierung, die von Partei Ciudadanos toleriert wird. Diese Tolerierung durch Ciudadanos ist es, die Rajoy keinerlei Spielraum in seiner Katalonienpolitik lässt. Denn würde er eine weichere Linie im Katalonien Konflikt fahren, riskiert er die Unterstützung durch Ciudadanos und damit auch gleichzeitig seine Regierung zu verlieren. Denn Ciudadanos, im Jahre 2005 als Gegenentwurf zu den katalonischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegründet, würde einen weicheren Kurs als den unbedingten Erhalt der spanischen Einheit wohl kaum mitmachen.

Ob man nun also nach Barcelona oder nach Madrid schaut, die spanische Demokratie steckt in der Krise. Den deutschen Kommentatoren wären also besser beraten anstatt die Stabilität der spanischen Demokratie in jeden dritten Satz herbeizuschreiben, es der englischen Wikipedia gleich zu tun. Diese spricht nämlich anstatt von der Katalonien Krise von der spanischen Verfassungskrise. Denn beim näheren Hinsehen zeigt sich sehr schnell; Spanien ist alles andere als eine funktionierende Demokratie. Es ist höchstens der Musterschüler der EU.

Philipp Adamik 2017

 

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