Dritter Teil des ak[due]ll Interviews mit einem Freiwilligen im Bürgerkrieg um Rojava
Anfang des Jahres ging Mike (Name geändert) ins nordsyrische Rojava um die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat zu unterstützen. Kurz nach seiner Rückkehr ist dieses dreiteilige Interview entstanden.
In den ersten beiden Teilen, die bereits in den letzten Ausgaben der ak[due]ll veröffentlicht wurden, berichtete Mike zunächst von seinem Weg nach Rojava von einer Demonstration in Deutschland bis an die Front im Norden Syriens. Im zweiten Teil sprach Mike über seine Erfahrungen an der Front. In diesem Teil stehen Mikes Motive und die Schattenseiten des Regimes Rojava im Vordergrund. Von Gastautor Philipp Adamik
ak[due]ll: Spannend finde ich, dass du sich selbst als Pazifisten bezeichnest. Trotzdem hast du in Rojava mit der Waffen in der Hand gekämpft. Wie vereinbarst du deinen Pazifismus mit dem Kriegseinsatz?
Mike: Ich bezeichne mich nicht in erster Linie als Pazifist. Ich bezeichne mich nur im weitesten Sinne als Pazifist. Ich lehne Krieg ab, prinzipiell. Also eben nicht prinzipiell. Ich glaube, dass Krieg etwas Schlimmes ist. Ich möchte nicht, dass Menschen sterben oder verletzt werden. Mein höheres Ziel, mein Anspruch an eine befreite Gesellschaft ist, dass Krieg nicht mehr existiert.
ak[due]ll: Pazifismus ist für dich also eine Art ideologisches Ziel.
Mike: Ja, aber mir ist aber bewusst, dass die Realität anders aussieht. Imperialistische Kriege sind ein Teil der Realität, in der wie leben, in der viele Menschen außerhalb Europas leben müssen.
Es ist auch teilweise eine Notwendigkeit dagegen vorzugehen. Und das ist für mich eben auch eine Frage meines Verhältnisses zur Militanz. Auch in Deutschland; auch in Europa. Für mich ist Militanz ein politisches Mittel. So wie Ulrike Meinhof das gesagt hat. Auch wenn ich Gewalt, genauso wie Krieg ablehne, bin ich der Meinung, dass Steinewerfen auf Demonstrationen – nicht mit dem Zweck Menschen zu verletzten, sondern um ein Zeichen zu setzen – eine politische Aktion ist. Ganz einfach. Für mich ist nach Rojava zu gehen und dort gegen Faschisten zu kämpfen, mit Waffengewalt für die Revolution zu kämpfen, nur die Konsequenz daraus. Ich sehe hier in Europa aber genauso als Notwendigkeit gegen Faschisten zu kämpfen. Das ist für mich nur konsequent.
ak[due]ll: Human Rights Watch kritisiert zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Rojava, räumt aber gleichzeitig ein, dass diese in Rojava weitaus geringer seien, als unter syrischer Herrschaft. Hast du davon etwas mitbekommen?
Mike: Ja, natürlich. Vieles. An der Front natürlich viele Plünderungen und Zerstörungen.
Die kurdische Partei in Rojava, die PYD [Anmerkung: Partiya Yekitîya Demokrat] hat auch ein Problem mit der Behandlung von Oppositionellen. Es gibt diese Berichte, jetzt nicht über Folterungen, aber über Prügel, unberechtigte Verhaftungen und so weiter. Das konnte ich zwar nicht beobachten, das habe ich aber vorher gelesen. Aber ich glaube schon, dass die ein Problem mit dem Umgang ihrer Opposition haben.
An der Front habe ich aber einiges selber mitbekommen. Da wurden Gefangene von Kurden verprügelt. Jetzt nicht gefoltert, aber verprügelt. Und wenn Gefangene befragt wurden, kam es auch zu Scheinhinrichtungen.
ak[due]ll: Scheinhinrichtungen bedeutet?
Mike: Naja. Augen verbinden. Sehr grob mit denen umgehen. Sie auf die Knie schmeißen, die Waffe durchladen und so tun, als würde man die jetzt erschießen.
ak[due]ll: Erschossen wurden sie aber nicht, oder?
Mike: Nein. Das ist aber trotzdem ein Kriegsverbrechen.
Das ist schwer zu vermitteln. Ich habe auch sehr lange gebraucht, um das zu verstehen. Am Anfang war ich sehr schockiert. Ich habe sehr viel Energie darauf verbraucht um so etwas zu verhindern. Aber das ist eben Krieg. Und Krieg macht krasse Sachen mit Menschen. Ich habe da natürlich immer die Kontrolle über mich gehabt, logischerweise. Aber irgendwann konnte ich zumindest nachvollziehen, das Menschen, die das seit Jahren machen, so reagieren. Ich konnte verstehen, dass sie einen Gefangen erst mal verprügeln und ihm kein Wasser geben.
ak[due]ll: In Anbetracht der Schrecken, die dort erlebt hast und dem Umstand, dass auch das Regime in Rojava bei weitem nicht perfekt ist, drängt sich die Frage auf, ob du noch einmal nach Rojava gehen würdest?
Mike: Ich wurde zwar in vielen Punkten enttäuscht, aber Rojava ist nach wie vor ein Projekt, das ich unterstütze und nach wie vor für unterstützenswert halte. Ich würde wahrscheinlich nicht noch einmal nach Rojava fahren, aber ich würde es theoretisch, wenn es nötig wäre, tun.
Ich habe irgendwann gemerkt – ich wollte ursprünglich sehr viel länger dort bleiben – habe aber irgendwann gemerkt, dass mein militärischer Nutzen dort eher gering ist. Und anderseits, dass mein politischer Nutzen als politischer Aktivist in Europa sehr viel größer ist. Es ist es auch einfach nicht wert, da an der Front zu sterben, während ich hier sinnvolle politische Arbeit machen kann. Es haben auch andere Sachen da mit rein gespielt, das ich jetzt schon wieder hier bin. Ich habe dort meine Gruppe verloren. Die wurde nach einem sehr heftigen Angriff aufgelöst. Und nach und nach kommen die meisten jetzt auch wieder zurück. Und ich bin quasi nur der Erste.
ak[due]ll: Der militärische Nutzen der meisten, die dieses Interview lesen, wird wahrscheinlich nicht besonders groß sein. Gibt es auch noch andere Möglichkeiten sich in Rojava zu engagieren?
Mike: Ja, in der Aufbauhilfe, oder im medizinischen Bereich. Das halte ich auch für jemanden aus Europa für sehr viel sinnvoller als dort zu kämpfen. Da würde ich auch jedem von abraten.
Der Artikel erschien ursprünglich hier bei der ak[due]ll online und in der ak[due]ll Nr. 112 vom 04.11.2015.
Bilderrechte:
Titel- und Beitragsbild: Yezidi YBS & PKK Guerilla in Shingal
Kurdishstruggle 2015 CC-BY 2.0
Beitragsbild: Kurdish YPG Fighters/ YPG & YPJ
Kurdishstruggle 2015 CC-BY 2.0
Karte: Die Situation während der Al Hasaka Offensive
Mouradi 2015 CC-BY-SA 3.0