Business as usual – Eine historische Einordnung der Anti-Überwachungsproteste

Masse
Demonstranten “Freiheit statt Angst”

Am 07. September forderten auf der Berliner Großdemonstration „Freiheit statt Angst“   20 000 Demonstranten die Achtung ihrer Grundrechte durch den Staat und die Geheimdienste. Wie der Internetaktivistist Jacob Appelbaum in seiner Rede betonte, sind die Enthüllungen Edward Snowdens für viele der Grund gegen den „Überwachungswahn“ auf die Straße zu gehen. Das diese Enthüllungen eindeutig zur Popularität des Themas und zur großen Beteiligung an der Demonstration beigetragen haben, ist unbestritten. Diese Aktualität täuscht aber über den Umstand hinweg, dass der Themenkomplex Überwachung, Datenschutz und Grundrechte ein dauerhafter Konflikt ist.
Ein erster Hinweis auf die historische Dimension liegt in den bereits seit 2006 organisierten  Freiheit statt Angst Demonstrationen des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Aber selbst diese sieben Jahre alte „Tradition“ verdeckt immer noch den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konflikt, der tief in den Strukturen und der Entstehungsgeschichte des Internets verwurzelt ist.

Der amerikanische Soziologe Manuel Castells zeichnet in dem bereits 2001 erschienen Buch Die Internetgalaxie die Entstehungsgeschichte des Internets am Beispiel seines Vorläufers ARPANET nach. Zu Beginn der 1960er Jahren entwickelt, entstand das APRANET aus einer Synthese aus Big Science, militärischer Forschung und libertärer Kultur (Castells S. 27 – 36). Schnittstelle dieser, als unwahrscheinliche Formel bezeichneten Entstehungsgeschichte, waren die großen amerikanischen Universitäten MIT und UCLA. Finanziert durch Gelder des amerikanischen Verteidigungsministeriums, forschten dort Wissenschaftler und Ingenieure, die von den Werten der individuellen Freiheit, des unabhängigen Denkens, sowie des Teilens und der Kooperation durchdrungen waren. Diese Werte, in Verbindung mit der Offenheit der von ihnen entwickelten Software, erschufen eine Brücke zwischen ihnen und der breiteren Campus-Gegenkultur der 1960er bis 1970er Jahre. Möglich war diese Verbindung durch die weitgehende Zurückhaltung der militärischen Geldgeber. Zwar haben die damals vom Verteidigungsministerium angeregten Prinzipien der dezentralen Netzwerkarchitektur, der Verteilung der Rechenkapazität über alle Knoten des Netzwerkes und der Funktionsredundanz, einen militärstrategischen Charakter, aber der direkte Einfluss des Militärs auf die Entwicklung war, um die Kreativität der Entwickler nicht zu behindern, relativ gering.

Ziel der Entwickler des ARPANETs war es, die Welt durch Computer-Kommunikation zu verändern, während die militärischen Geldgeber hofften, dass sich aus einer massiven Ressourcenausstattung und wissenschaftlichen Einfallsreichtum etwas Gutes ergeben würde, woraus das Militär – aber auch die US-Wirtschaft – später einen Nutzen ziehen könnten. Aber auf der anderen Seiten spiegeln sich die Wurzeln des Internets im freiheitlichen Milieu, sei es in den Ideologien der damaligen Entwickler oder der Protestbewegungen der 1960er Jahre, in den aktuellen bundes- und weltweiten Protesten wieder.

Compact Transpi
Transparent auf der “Freiheit statt Angst”

Wird diese Entstehungsgeschichte des Internets in Betracht gezogen, dann haben Militär und Geheimdienste durchaus ein legitimes Interesse an der Nutzung des online Datenverkehrs. Problematisch wird dieses Interesse aber, wenn die Geheimdienste wahllos und ohne jede Kontrolle die eigenen Bürger oder die Bürger andere friedlicher Länder überwachen. Diese Situation ist im Moment eingetreten.

Das das ins Ungleichgewicht geratene Kräfteverhältnis zwischen dem freiheitlichen und dem militärisch/geheimdienstlichen Pol des Internets jederzeit – insbesondere jetzt – austariert werden muss, zeigen die Proteste auf der Straße und die erfreulich kontinuierliche Berichterstattung in den Medien. Auch wenn mit einem vollständigen Sieg des militärisch/geheimdienstlichen Pols auch in naher Zukunft nicht zu rechnen ist, bedarf es weiterhin der Proteste, damit der libertäre Geist des Internets nicht durch Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen erstickt wird. Eine der nächsten Gelegenheiten bietet die #StopWatchingUs Demonstration  am 12.10. in Köln.

© Text und Bild Philipp Adamik 2013

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Der Artikel erschien ursprünglich hier in der Community des Freitags.

Literatur:

Castells, Manuel 2001: Die Internetgalaxie. Internet, Wirtschaft und Gesellschaft. Wiesbaden.

One Reply to “Business as usual – Eine historische Einordnung der Anti-Überwachungsproteste”

  1. Eine Handy Attrappe sollte auf dieser Demo dann demonstrativ zerstört werden oder wer will auch das eigene Handy zu Boden krachen lassen.

    Motto: Wir kappen unsere Verbindungen zu Geheimdiensten.

    Nur so sehen sie dann auch das es uns ernst sein könnte. Ansonsten lachen sie nur.

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