#StopWatchingUs – Der Kampf gegen die unsichtbare Bedrohung

Prof
Quelle 1

Während Du diesen Artikel ließt überwachen im Hintergrund unbemerkt die NSA, der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz mit Programmen wie PRISM oder Xkeyscore deine Aktivitäten. Die ganze Sache läuft im Geheimen und im Verborgenen ab. Sie stellen für Dich, den unbescholtenen Bürger scheinbar keine direkte Bedrohung dar, aber sie schützen dich vor der Gefahr vor Terroranschlägen. Das ist ist doch ein guter Tausch. Eine Art nebenwirkungsfreie Pille gegen die alltägliche Bedrohung in der U-Bahn, dem Flugzeug oder im Büro durch einen Terroranschlag ums Leben zu kommen. Trotzdem folgten am vergangenen Wochenende zu Recht Tausende dem Aufruf des internationalen Aktionsbündnisses #StopWatchingUs und gingen zum Schutz ihrer Privatsphäre auf die Straße.

Mehrere Redner, wie der Kölner Professor für Journalismus und Politikwissenschaften Dr. Frank Überall oder das Mitglied des Landtags für die Piraten Partei Daniel Schwerd, brachten in Köln, wie in diesem Artikel, häufig Verstöße gegen die Grundrechte auf Privatsphäre, die informationelle Selbstbestimmung und die Unverletzlichkeit der Wohnung als Argumente vor.

Gut, kannst du dir jetzt denken, die können meine Kommunikation überwachen, aber da ich nichts zu verbergen habe, kann es mir ja auch egal sein. Was bewegt also diese Menschen gegen Überwachungsprogramme auf die Straße zu gehen?

Auf der Kundgebung gaben zwei Demonstranten [Link zum Interviewleitfaden und den Antworten] an, dass sie das Unbehagen über die Überwachungsmaßnahmen dazu bewogen hat, an dieser Demonstration teilzunehmen. Insbesondere die Sorge, dass die Überwachung eben nicht nur zur Abwehr von Terrorakten, sondern auch für andere Zwecke missbraucht wird, war für einen der Demonstranten ein wichtiger Grund. Hierzu sagte dieser, der sich selbst als bislang apolitisch bezeichnet hat:

Masse
Quelle 2:

„Es geht Ihnen – so glaube ich – darum ihre Kontrolle und Macht zu erweitern. Ein wichtiger Punkt ist auch – im Vergleich zur konventionellen Kriegsführung – die geringeren Kosten der Kriegsführung durch IuK-Technologien.”

Beide gehen wie recht viele Menschen davon aus, dass Ihre Mails überwacht werden, sehen aber keine Relevanz ihrer Informationen für die Geheimdienste. Auch haben  beide Einschnitte in ihrem alltäglichen Kommunikationsverhalten bemerkt. Während der eine nur die Überwachung im „Hinterkopf hat”, sich aber selbst „nicht überwacht fühlt”, sind die Einschnitte des etwas aktiveren Demonstranten wesentlich stärker.

„Ich fühle mich absolut durch die Überwachung in meinen Freiheiten eingeschränkt. Ich zum Beispiel habe Angst mich hier auf die Bühne zu stellen und meine politische Position zu vertreten. Denn politische Beteiligung kann einen ins Visier des Verfassungsschutzes bringen. Einer der Organisatoren der Demonstration wurde im Rahmen der Anmeldung der Demonstration vom Staatsschutz* angerufen.”

Insbesondere in diesem zuletzt angesprochenen Punkt, der Frucht vor der aktiven politischen Beteiligung, liegt eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie vor. Die in diesem Fall vorliegende Abschreckung von politischen Aktivitäten durch Überwachung – ob sie nun von den Behörden intendiert ist oder nicht – war nicht umsonst eine wichtige Strategie von Diktaturen wie der DDR oder Nazi-Deutschland.

Schwerwiegender ist noch der Fall einer jungen Frau, die ein Interview mit einem Reporter von 1Live verweigerte, weil sie Aufgrund der Überwachung überhaupt nicht im Netz aktiv sei. Ihre Abkehr von der Internetöffentlichkeit beiträchtigt nämlich nicht nur ihre politische Aktivität, sie kann sogar zu Verlusten von Lebensqualität führen. Inzwischen werden viele Freundschaften und soziale Kontakte durch soziale Netzwerke wie Facebook gepflegt. So liegt die durchschnittliche Anzahl von Freunden jedes Nutzers derzeit bei 342. Ein Verzicht auf diese Netzwerke kann einen teilweisen sozialen Ausschluss bedeuten und damit die Lebensqualität veringern. Die Sozialwissenschaft spricht in diesem Fall von „digital devide“. Aber insbesondere in Bezug auf die politische Beteiligung ist diese Abkehr von der Internetnutzung der jungen Frau recht problematisch.

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Quelle: Nr. 3

Für die politischen Proteste des arabischen Frühlings hat der an der Universität Luxemburg lehrende Medien- und Kulturwissenschaftler Martin Doll vier Funktionen von sozialen Medien herausgearbeitet. Diese sind die Funktion der internen Organisation politischer Proteste, der öffentlichen Meinungsbildung, der Instanz von unabhängigen Information und der Information der Weltöffentlichkeit.

Die jungen Frau ist durch ihre Verweigerung der Internetnutzung auf Grund der staatlichen Überwachungstätigkeit, von diesen politischen Funktionen ausgeschlossen. Selbst dieser Einzellfall stellt bereits eine Bedrohung für die Demokratie dar. Florian Wächter, der Organisator der Demonstration und Betreiber des politischen Blogs demonstrare.de, betont die Bedeutung von sozialen Medien und Bloggern für den Erfolg der Demonstration am 27. Juli in Köln.

„Die digitale Vernetzung ist ein sehr wichtiges Standbein für unsere Protestbewegung #StopWatchingUs. Ohne die Aufrufe in sozialen Medien und die Berichterstattung der Blogger, wären nicht so viele Menschen mobilisiert worden.“

In besonders extremen Fällen kann die digitale Überwachung sogar ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen. 2007 wurde der Berliner Soziologen Andrej Holm aufgrund der Verwendung der sozialwissenschaftlichen Fachbegriffe „Gentrifizierung” und „Prekarisierung” in seinen wissenschaftlichen Aufsätzen verhaftet. Ihren Ursprung nahm diese Verhaftung in einer digitalen Textanalyse durch das Bundeskriminalamt. Dieses suchte, mit Hilfe von Google und der Textanalysesoftware „Copy-Catcher“, im Internet nach Übereinstimmungen mit Begriffen, die von der „militanten gruppe“ in ihren Bekennerschreiben verwendet wurden. Gegen die Mitglieder der „militante gruppe“ wurde zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren wegen versuchter Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geführt. Andrej Holm wurde erst nach einem vier Jahre langen Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, an dem auch der Bundesgerichtshof beteiligt war, freigesprochen. Vor und während des Verfahrens waren er, seine Familie, Freunde und Bekannte von stattlicher Überwachung betroffen*.

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Quelle: 2

Diese Beispiele zeigen, wie massiv staatliche Überwachung in demokratische und wissenschaftliche Prozesse bereits eingegriffen hat. Eine Ausweitung der technischen Möglichkeiten würde diese Tendenzen nur noch erhöhen. Aus diesen Gründen ist der Widerstand gegen den Überwachungsstaat notwendig. Der häufig propagierte Ausstieg aus den großen sozialen Netzwerken wie Facebook zu kleineren opensource Projekten wie Diaspora ist indes ebenso keine Alternative, wie die Totalverweigerung der jungen Frau. Überlassen beide Handlungen doch die große digitale Öffentlichkeit den mächtigen Regierungen und Unternehmen und führen dazu, dass jedes, zunächst immer klein beginnendes politische Thema immer klein bleibt. So wird der digitale Otto Normalverbrauchers, der die Wahlen entscheidet, nie erreicht. Ein vollständiger Wechsel zu ergänzenden Angeboten wie Diaspora ist deshalb auch nicht als radikaler Akt, sondern als Kapitulation vor den Mächtigen zu verstehen. Insbesondere wegen diesen Menschen, die sich wegen der Überwachung in digitalen Subkulturen oder in die Welt vor der Einführung des Internets zurückziehen, ist es wichtig das alle ethnischen Gruppen für die freie Kommunikation in den großen Foren der digitalen Öffentlichkeit zu demonstrieren. Die nächste bundesweite Gelegenheit bietet dafür der „International Day of Privacy” am 31.08.

© Philipp Adamik

Der Artikel erschien ursprünglich in der Community von der Freitag.

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Bildquellen:

1 Titelbild: Philipp Adamik

2 Daniel Müllenborn (weitere Bilder unter diesem Link)

3 Wikipedia

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