Das Leben in der digitalisierten Welt – Ein Interview von ecs. mit Philipp Adamik
EIN INTERVIEW MIT PHILIPP ADAMIK zu den fragen: in was für einer realität leben wir? wie stark beeinflusst das netz unser leben? wieso ist der konsum des netzes nicht ungefährlich? warum geht edward snowden uns alle was an? und was macht einen mündigen netzuser aus?
name: philipp adamik; alter: 36; ort: dortmund; sprache: deutsch
warum er/sie hier ist: philipp bringt mich zum nachdenken über die mechanismen der welt. und wieso die dinge (noch) funktionieren, wie sie funktionieren. dabei ist er ein guter lehrer und ich freue mich immer sehr, wenn wir verabredet sind und ich seinen erkenntnissen über die welt lauschen darf.
[1.] wer bist du und was machst du?
“Hauptsächlich promoviere ich im Fachbereich allgemeine Soziologie, soziologische Theorie an der Universität Duisburg Essen. Angefangen habe ich über die Sozialstruktur der Netzwerkgesellschaft zu promovieren, wechsele nun aber zu dem Thema “Sozialer Wandel durch Protest in der Netzwerkgesellschaft”. Dieser Wandel basiert auf dem glücklichen Zufall, dass ich durch einige journalistische Beiträge zu dem Thema im Kontakt zu der Protestbewegung #StopWatchingUs Köln gekommen bin. Zuerst wollte ich die Bewegung im Rahmen einer offenen teilnehmenden Beobachtung studieren, bin aber inzwischen Mitglied der Gruppe, was die objektive wissenschaftliche Beobachtung der Gruppe ausschließt. Mehr oder weniger nebenbei veröffentliche ich auf meinem Blog digital realism und in der Community der Wochenzeitung “Der Freitag” journalistische Artikel zu den Themen Protest, Demonstrationen und Überwachung. Auf meinem Blog sind auch einige wissenschaftliche, bzw. wissenschaftlichere Artikel wie “Kommunikative Figurationen als Analyseinstrument eines mediengestützten soziokulturellen Wandels” oder “Michael Hardts Antionio Negris “Demokratie” – Eine rezeptionsanalytische Kritik” zu finden.
[2.] dein blog und der ursprüngliche arbeitstitel deiner angestrebten promotion trägt den titel ‘digitaler realismus’? was bedeutet das? bedeutet es, dass wir uns alle in unterschiedlichen realitäten bewegen? wie bist du auf dieses thema gekommen?
“Zunächst hatte meine Promotion nie den Arbeitstitel “Digitaler Realismus” getragen, aber der Begriff ist selbstverständlich auch für meine dortige Herangehensweise wichtig. Im Prinzip geht es bei den Begriff um die Abgrenzung von der sprachlich falschen Gegenüberstellung von Virtualität und Realität, wie sie in vulgär bildungspolitischen Positionen oder der Diskussion über die Finanzmärkte betrieben wird.
Sprachlogisch sind die beiden Begriffe keine Gegensätze, sondern virtuell ist der Gegenbegriff zu physisch oder materiell und beide Elemente sind in der traditionellen abendländischen Philosophie ein Teil der Realität.
Programmatisch geht es eben darum zu der bereits genannten vulgär bildungspolitischen Position eine Gegenposition zu schaffen, die eine Aufwertung der virtuellen Erfahrungen im Vergleich zu physischen Erfahrungen zum Ziel hat. Die Einschränkung digital verwende ich, weil es mir nicht um jedwede virtuelle Erfahrung sondern primäre um Erfahrungen geht, die online, also durch die revolutionäre Erfindung des Internets ermöglicht wurden. Das bedeutet eben nicht, dass wir uns in unterschiedlichen Realitäten bewegen, sondern das beide Elemente Virtualität und Materialität ein Teil der Realität sind, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen. Dieses Wechselspiel wird zum Beispiel deutlich, wenn man betrachtet welche Bedeutung soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder die fast schon altertümliche Kommunikation via Mail für den Aufbau und die Organisation von sozialen Protestbewegungen hat.”
[3.] warum glaubst du stehen sich die begriffe ‘virtuell’ und ‘real’ fälschlicherweise gegenüber? auch ich gestehe, dass ich virtuell immer als nicht ‘wirklich’ definiere, weil es nicht fassbar (materiell) ist. verstehe ich dich richtig, dass sowohl die virtualität, wie auch die realität beide teil der wirklichkeitserfahrung sind und ich sie zusammen betrachten muss, anstatt getrennt? oder zurück zur begriffsbestimmung: was ist in soziologischer perspektive der inhalt der begriffe virtuell, real und wirklich?
“Für den deutschen Diskurs liegen die Gründen für diese falsche Gegenüberstellung meiner Ansicht nach in der historisch gewachsenen Vorstellung, dass Deutschland eine Industrienation sei. Real ist halt das, was man als Produkt verkaufen kann. Aber die Vorstellung, dass Deutschland und andere westliche Nationen noch Industriegesellschaften sind, stimmt zumindest statistisch nicht mehr. Auch gab es in der Praxis einen Bedeutungszuwachs des Virtuellen im Vergleich zum Physischen.
Virtualität ist aber beileibe nichts Neues. Im Sinne einer Darstellung der physischen Wirklichkeit war sie schon in der Steinzeit ein Bestandteil der Kultur, wie uns die 40 000 Jahre alten Höhlenzeichnung in der spanischen El Castillo Höhle zeigen. Im Laufe der Geschichte, insbesondere durch die Erfindung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert und die Aufklärung im 18. Jahrhundert, gab es einen Bedeutungszuwachs der Virtualität. Die grundsätzliche Annahme von der Formbarkeit der physischen und der sozialen Wirklichkeit machten quasi die Virtualität zur Grundlage der neuen sozial bestimmten Realität. Bevor Eisenbahnlinien gebaut wurden, wurde ein Plan gezeichnet. Bevor die Dampfmaschine gebaut wurde, wurde sie skizziert usw. Die Erfindung des Internets in Verbindung mit den immensen Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft und Industrie haben diesen Prozess noch einmal verstärkt. Industrielle Produktion findet in westlichen Nationen eigentlich nicht mehr statt. Selbst wenn man großzügig rechnet und die Beschäftigten in der Landwirtschaft, der Industrie, der Energie und dem Bau zusammenrechnet kommt man gerade mal auf einen Prozentsatz von 26 % der Beschäftigten in diesen Bereichen. Die übrigen 74 % erbringen irgend eine Art von Dienstleistungen. Die hauptsächlichen Kosten von Dienstleistung sind aber immaterielle Güter, wie (Aus-)Bildung, Kommunikation und vor allem die Zeit, deren Preis aber hauptsächlich von ihren Tauschwert bestimmt wird. Also davon, für wie wichtig die entsprechende Dienstleistung bewertet wird.
Da viele Menschen und auch die Politik der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs durch industrielle Produktion (Made in Germany) nachhängen, wird das Virtuelle als Träger einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung immer noch diffamiert.
Inzwischen würde ich sogar soweit gehen, dass selbst die industrielle Produktion in ihrem Kern virtuell ist. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse und die materiellen Grundlagen zur Erfüllung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen wie Wohnen und Mobilität sind spätestens seit den 1970er Jahren gegeben. Die derzeitige industrielle Produktion gründet in sozial geschaffenen Bedürfnisse, deren Mehrwert hauptsächlich in Vorstellungswelt der Menschen begründet ist. Jedes Jahr werden neue Automodelle vorgestellt und erfolgreich verkauft, deren Mehrwert in sekundären Attributen wie mehr Sicherheit, mehr Komfort und der Darstellung des sozialen Status liegt. Tatsächliche Innovationen sind dort schon seit langem nicht mehr zu verzeichnen. Aus diesem Grund ist es die Virtualität, wie sie in unseren Gedanken und unseren Medien existiert, die den physischen Charakter unser Wirklichkeit bestimmt.”
[4.] du nennst u. a. die diskussion über die finanzmärkte als beispiel für die fälschlicherweise benutzte gegenüberstellung von ‘virtuell’ und ‘real’? tatsächlich sagen viele menschen, dass was an den finanzmärkten geschieht ist alles nicht real. weil das geld, welches dort gehandelt wird, nicht fassbar ist. kannst du am beispiel der finanzmärkte die begriffe genauer erklären? und ihre zusammengehörigkeit?
“Ich habe ja gerade erwähnt, dass der Kern der sogenannten Realökonomie ein höchst virtueller ist, aber das ist bei dieser Frage nicht der entscheidende Punkt. Die Realökonomie spielt ja zumindest was den Arbeitsmarkt angeht nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie ist quasi die SPD der Beschäftigungssektoren. Der Kern zum Verständnis der Finanzkrise liegt dabei zum einem in der zunehmenden Bedeutung von Dienstleistungen und dem Unterschied zwischen Geld und Kapital. Zunächst wird an den Finanzmärkten kein Geld gehandelt, sonder Kapital. Geld ist nach meinem Verständnis das womit ich Waren kaufen kann. Die Ökonomie dahinter basiert dabei auf Einnahmen und Ausgaben. Dieses Prinzip hat auch noch recht gut funktioniert, solange westliche Ökonomien auf einer industriellen Wirtschaft basiert haben. In der derzeitigen Dienstleistungswirtschaft verändert sich die Rolle des Geldes massiv, es wird zum Kapital. Das lässt sich sehr gut an der Funktion von Schulden erläutern.
Wenn man in einer solchen Wirtschaft Schulden hat, dann läuft es darauf hinaus, dass man für jemand anderes eine Dienstleistung erbringen muss. Wie hoch aber der Tauschwert der einen Dienstleistung gegenüber einer anderen Dienstleistung ist oder wie viel Schulden ich für welche Dienstleistung beglichen habe, ist aber hauptsächlich von der Bewertung der Dienstleistung und der Durchsetzungskraft der Akteure abhängig. In einer solchen Wirtschaft wird Geld zum Kapital und damit zu einem Abbild der Durchsetzungsmacht. Wenn man in dieser Situation die Macht hat beliebig viele Schulden machen zu können, wie es die USA oder (wenn auch nicht in diesem Ausmaß) Deutschland haben, dann ist es nahezu irrelevant ob nun ein plus oder ein Minus vor den Zahlen steht. Der amerikanische Ethnologe und Aktivist David Graeber erläutert dies z. B. in seinem Buch Inside Occupy ausführlicher mit Hilfe des Begriffes “Seigniorage”, den “wirtschaftlichen Vorteil, der einem daraus erwächst, bestimmen zu können, was Geld ist”. Und das ist es, was gerade in Griechenland passiert. Die EU-Staaten nehmen Schulden auf, bzw. Bürgschaften für Schulden und bestimmen damit, wie das nach mehr oder weniger willkürlich festgelegten Maßstäben zu hoch verschuldete Griechenland seine Wirtschaft umstrukturieren muss. Das ganze ist selbstverständlich höchst real, denn ganz offensichtlich sind die politischen und sozialen Konsequenzen real, aber in dieser Situation ist Geld nur noch Kommunikationsmittel der Macht, eben Kapital, hinter dem nichts weiter steht als die Macht seine Interessen durchzusetzen.”
[5.] welche bedeutung haben soziale netzwerke wie twitter, facebook und co. denn auf soziale protestformen? kannst du diese nutzung und ihr potential kurz skizzieren?
“Das ist für mich immer noch eine recht offene Frage. Sie erleichtern definitiv die Organisation von Protesten und sind ein Medium der Verbreitung von Meinungen. Auch können über sie neue Anhänger und Aktivisten gewonnen werden. Für sich allein genommen sind sie aber noch kein Garant für den politischen Erfolg. Physische Protestformen können sie meiner Ansicht nicht ersetzen, aber ihre begleitende und unterstützenden Wirkung ist meiner Ansicht nach nicht zu unterschätzen.”
[6.] ein leben ohne virtualität scheint nicht mehr denkbar. es dringt in alle lebensbereiche: arbeit und privat. nahezu alles ist über das internet händelbar: ich kann dort mein waschpulver beziehen, einen partner finden, den passenden job, sprachen lernen, soziale kontakte pflegen, ein neues selbst von mir präsentieren etc.. zumindest für den unsrigen kulturkreis. damit wird mir bewusst, wie rasend schnell eine erfindung die welt, unsere wirklichkeitserfahrung, ändern kann. würdest du sagen, dass das internet den begriff revolutionär verdient?
“Im Gegensatz zu den oben skizzierten Innovationen im Bereich der Automobilindustrie ist das Internet definitiv eine revolutionäre Erfindung. Für Karl Marx war die Eisenbahn das Medium mit dessen Hilfe sich der Klassenkampf bereits nach wenigen Jahren über eine ganze Nation ausbreiten konnte. Im Vergleich zu den Möglichkeiten des Internets ist diese Utopie mehr als harmlos. Mit Hilfe des Internets ließe sich der Klassenkampf theoretisch binnen Sekunden über die ganze Welt verbreiten. Plakativ ausgedrückt. Zum ersten mal in der Geschichte Menschheit sind die technologischen Voraussetzungen für die Durchführung der Weltrevolution gegeben.”
[7.] kurios finde ich, dass ich das internet benutze und eigentlich gar keine wahl habe, es abzulehnen, will auch ich teilhaben an arbeit, konsum etc. es kam, bietet all seine vorteile und man macht mit. beim nachdenken über das netz wird mir aber bewusst, dass jede erfindung gleichzeitig ein segen aber auch eine gefahr birgt. da ist einerseits das demokratiepotential des internets, oder seine möglichkeitsoption der vernetzung für soziale proteste, aber auch andererseits die gefahr vor der ‘stop watching us’ warnt. was ist die konkrete gefahr? wieso sollte mich das etwas angehen bzw. interessieren? wer wird überwacht? warum und zu welchem zweck? was kann ich dagegen tun?
“Das Internet hat unser Alltagsleben so massiv verändert, wie es wohl keine andere Technologie seit der Erfindung des Automobils mehr getan hat. Aber wie dieses kann das Internet selbstverständlich sowohl demokratiefördernd als auch demokratiefeindlich sein. Diese Ambivalenz des Internets ist dabei schon in seiner Entstehungsgeschichte begründet. Finanziert wurde es mit militärischen Mittel, entwickelt wurde es aber von Menschen, die sehr stark von libertären Werten beeinflusst waren. Dieser Grundkonflikt ist aktuell durch die Enthüllungen Edward Snowdens in einer neuen Runde der Aushandlung in der es so scheint, als hätten die totalitären Kräfte die Oberhand.
Die Gefahr dieser Machtverteilung liegt dabei auf mehreren Ebenen. Zum einem ist es die konkrete Gefahr, dass die Akteure der freien Meinungsäußerung in ihren Grundrechten beschnitten werden. Prominente Beispiele hier für sind der
Internetaktivist Jacob Appelbaum, der nach eigene Angaben auf Basis seines digitalen Fußabdrucks mit Bradley Manning in Verbindung gebracht wurde und aus diesem Grund mehre Stunden von Mitarbeitern amerikanischer Ermittlungsbehörden am Flughafen verhört wurde. Ein deutsches Beispiel ist der Berliner Soziologe Andrej Holm, der Aufgrund der Überwachung mit Programmen zur Textanalysen in Verbindung mit einer kriminellen Vereinigung gebracht wurde. Holm wurde nach einem mehreren Jahren dauernden Prozess schließlich vom Bundesverfassungsgericht frei gesprochen, aber er, seine Freunde und seine Familie wurden massiv Überwacht und ihre Wohnungen wurden mehrfach durchsucht. Einer der Hautgründe hierfür war die Verwendung des stadtsoziologischen Fachbegriffs Gentrifizierung, der auch in dem Bekennerbrief der kriminellen Vereinigung vor kam. Diese menschlichen Opfer der verdachtslosen Totalüberwachung halte ich allerdings nicht für die größte Gefahr. Für gefährlicher halte ich den Missbrauch dieser Daten für die mediale und gesamtgesellschaftliche Manipulation. Aus der Perspektive der empirischen Sozialforschung sind die Daten, die von Facebook und ähnlichen gesammelt werden das reinste Gold. Diese können sehr gut für die Optimierung von Parteiprogrammen oder für populistische Vorstöße wie die aktuelle Freizügigkeitsdebatte für die neuen EU-Länder genutzt werden und somit die gerade herrschende politische Parteien stabilisieren.
Auf der technologischen Ebene existieren mehrere Gegenmaßnahmen. E-Mails können verschlüsselt werden und mit Hilfe des Anonymisierungsdienstes TOR kann man inkognito im Netz unterwegs sein. Die Techniken sind inzwischen recht benutzerfreundlich und Organisationen wie der Chaos Computer Club bieten Kryptoparties an, die den Einstieg erleichtern. Allerdings bieten diese Techniken auch nicht den perfekt Schutz, aber sie erhöhen den Aufwand für die Überwacher soweit, dass die verdachtslose Überwachung sich kaum noch lohnt. Der beste Schutz ist aber meiner Ansicht nach sich nicht von den Überwachern einschüchtern zu lassen und seine Meinung frei und öffentlich kundzutun und auf eventuelle Repressionen mit ihrer Veröffentlichung zu antworten. Auch halte ich das Risiko das Opfer staatlicher Repressionen zu werden in Deutschland immer noch für sehr gering, weshalb ich in der Überwachung keinen Grund sehe sich in irgendeiner Art einschüchtern zu lassen oder seine Netzaktivitäten zu ändern, außer noch mutiger zu kommunizieren.”
[8.] wie sieht ein mündiger internetuser aus?
“Ich glaube, dass ein mündiger Internetnutzer für sich ein paar elementare Unterscheidungen treffen muss. Grundsätzlich ist dabei, was kommuniziere ich über das Internet und was nicht. Auch wenn es im Internet noch ein paar Schutzzonen der Privatsphäre wie die persönliche E-Mail gibt, neigt das Internet auch wegen seines libertären und demokratischen Kerns zu einer Deprivatisierung. Wenn ich etwas auf Facebook poste, dann muss ich mir bewusst sein, dass ich mich zumindest in einer Teilöffentlichkeit bewege und sehr viele Menschen auf meine Äußerungen auch in einer Weise Bezug nehmen können, die mir persönlich nicht recht ist. Aber das ist kein negativer Aspekt an sich, sondern ein Teil eines demokratischen Prozesses der individuellen Meinungsbildung zu dem eben auch die Kritik gehört. Das der Ton im Internet manchmal etwas härter ist, gehört anscheinend dazu. Auch deswegen muss ich mir aber im Grunde bewusste sein, dass das Internet ein öffentlicher Raum ist, den ich zum Teil auch auf eigene Gefahr hin betrete.
Problematisch an der ganzen Überwachung ist dabei, dass die Entscheidung, was ich öffentlich oder privat im Internet kommuniziere nicht mehr allein meiner Verantwortung unterliegt und theoretisch von Dritten umgangen werden kann. Dies ist eine weitere Gefahr der Überwachung.
Auf der Seite des Konsums von Medieninhalten im Internet gelten meiner Ansicht nach immer noch die klassischen Regeln der Aufklärung. Das heißt, dass man unabhängig von dem Medium dem Autor die Inhalte selber kritisch hinterfragen muss. Um der Gefahr zu entkommen in einer ständigen Reflexionsschleife stecken zu bleiben, fällt mir leider kein besseres Instrument als die Selektion von Inhalten ein.”
[9.] und damit beißt sich doch die katze.., oder nicht? selektion von inhalten/selektion von wissen ist eine postulierte kernkompetenz des 21. jhds. das wissen an sich wird niemanden mehr vorenthalten. das liegt für jeden ‘rum’. jede/r kann an netzwerken teilhaben. nun liegt es an jedem einzelnen zu entscheiden, was ist (für mich) wichtig oder nicht, wo will ich teilhaben/wo nicht. womit soziologisch gesehen ja wieder nur eine neue ebene der sozialen ungleichheit eröffnet wird. jetzt ist es nicht mehr der zugang, sondern der gebrauch von wissen, an dem sich soziale ungleichheit ablesen lässt: hört das denn nie auf?
zuletzt: du hast dich bei der wahl für die fotos zum interview für ‘starbucks’ entschieden. warum ‘starbucks’?
Mein ganze Berlinbesuch war, wie es für Ausflüge im Aktivisten-Milieu üblich ist, recht chaotisch. Ich habe während der vier Tage an drei unterschiedlichen Orten geschlafen und in der Regel war es am Morgen noch nicht klar, wo ich die Nacht verbringen werden. Aber dieses Chaos ist häufig verlässlicher als es geregelte Strukturen sind. Bricht im Chaos eine Option zusammen, dann tut sich schnell etwas Neues auf, und verspricht dabei auch noch ein interessantes Abenteuer. Wie auch immer, ich hatte in keiner meiner Übernachtungsmöglichkeiten einen halbwegs vernünftigen Arbeitsplatz. Ich musste aber, um die Aktualität der Ereignisse auch widerspiegeln zu können, meine Übersetzung der Rede von Jacob Appelbaum zeitnah publizieren. Also suchte ich mir mit Hilfe meines Smartphones den nächsten Starbucks, bestellte dort im Laufe des Tages zwei bis drei Kaffee und übersetzte die Rede. Die Übersetzung hätte ich ohne dieses Café nicht, oder nicht so zeitnah publizieren können. Ich war auch bei weitem nicht der Einzige, der dort den Tag verbrachte, vor seinem Laptop saß und irgendeiner Art von Informationsarbeit nachging. Der typische Besucher erinnert mich an die Art von Menschen, die Richard Florida recht populär als kreative Klasse bezeichnet hat; also Architekten, Wissenschaftler, Journalisten und Designer.
In dieser Art der Arbeit und der Innen und Außenarchitektur der Cafés spiegeln sich noch ein weiterer Trend unseres digitalen Zeitalters wieder. Die gläserne Fassade der Cafés und die dort stattfindenden Arbeit verdeutlichen die Transparenz unsere Zeit.
Arbeit, unter den Bedingungen der Transparenz während des Entstehungsprozesses, vollzieht sich negativ gesprochen unter einer ständigen Überwachung und sozialer Kontrolle und positiv gesprochen unter einer Atmosphäre der Offenheit, die Austausch und Zugänge ermöglicht. In einem positiven Sinne ist Starbucks das postmoderne Wiener Kaffeehaus der digitalen Aufklärung und negativ gesprochen Foucaults Panoptikum der Überwachung. Dieses Café verdeutlicht für mich die Ambivalenzen unseres Zeitalters, von der Möglichkeit und dem Zwang jederzeit und überall arbeiten zu können, dem global Player, der lokale Wirtschaftsstrukturen zerstört und Kulturimperialismus betreibt, aber auch globale Freiheiten eröffnet. Darum wollte ich, dass die Photos für dieses Interview dort gemacht werden.”
© Bild und Text: Philipp Adamik und ecs 2014
Das Interview wurde ursprünglich für ecs´Blog geführt und auch dort zunächst veröffentlicht.
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